Durch Kunst zur Planung.
Grundlage für die Werkstatt Morsbroich ist ein politischer Beschluss des Leverkusener Stadtrates. Teil der Unterlagen ist unser Konzept vom Januar 2022. Lesen sie selbst…
Das Originalkonzept unter diesem link.
Künstlerisches Handeln befasst sich heute mit der Alltagswelt, greift in Ökologie oder gesellschaftliche Debatten ein – oder organisiert, wie wir, demokratische Planungsprozesse. Mit diesem Papier skizzieren wir einen solchen alternativen Prozess. Aber geht es dabei nur um Planung?
Wir möchten vorhandene Potentiale nutzen, um zu einer neuen Art von Werk-Gefüge zu kommen. Einen sozialen Raum, ein Ensemble aus Schloss, Garten und Kunst – dabei verstehen wir das Wort „Ensemble“ nicht nur im passiv beschreibenden Sinne, sondern auch als aktives „Ensemble“, als Gruppe, Band, Orchester aktiver Akteur*innen aus Kunst und Zivilgesellschaft.
Der Park brauchte eine spannende neue Erzählung, noch vor der Überplanung. Diese wollen wir mit der Imaginationskraft der Kunst und der Bevölkerung schaffen.
Mondo Imaginario – Vorstellungswelten
Wir schlagen vor, Welten zu entwickeln. Gemeinsam mit Interessierten – als Grundlage für die Aktivierung des Geländes.
Statt also die Fläche planerisch in programmatische Funktionen zu zerlegen, möchten wir den Gartenraum gemeinsam mit den Besucher*innen des Museums und der Bevölkerung als Raum vielfältiger Vorstellungen, als Lebenswelt komplexer Biotope und als Raum kulturhistorischer Schichten entdecken.
Dieses Multiversum möchten wir in einem Ensemble aus genauer Beobachtung, aus produktiven Workshops, aus temporären Bauten und Installationen, aus Reflexion und schließlich Verstetigung entwickeln.
In Layern denken
Zur Zeit wird die Natur als vielschichtige Mitwelt wieder entdeckt, das bisher kaum bekannte komplexe Gefüge aus Wurzeln und Pilzen, Tieren und Menschen fängt überhaupt erst an, verstanden zu werden und zieht ein transdisziplinäres Interesse auf sich.
Wir stellen uns aber auch Schichten der Planung vor: Nicht mehr den einen gültigen und dominanten Plan (z.B.: Rekonstruktion des Originalparks von 1800), und auch kein programmatisches Segmentieren (hier Naturreservat, da Blickachse, dort Spielplatz), sondern ein vorsichtiges Übereinanderprojizieren unterschiedlicher Ansprüche an das Gelände – Denkmalschutz und Ökologie, Rundgang und Aufenthalt, Kunstproduktion und Lebensgenuss, Lernort und Fischfang, Foodforest und Blickachse, Erlebnis und Geheimnis…
Leitfragen
Kunst interessiert sich heute für die ganze Bandbreite gesellschaftlicher Herausforderungen.
Wie überwinden wir die distanzierte Haltung zur Umwelt und kommen hin zum Agieren miteinander, mit Pflanzen, Tieren, als Teil der Mitwelt? Wie verhalten wir uns zur aristokratischen Vergangenheit, zu seinen Schönheiten, zu seinen Grausamkeiten, zu den Brüchen der Moderne? Wie stellen wir Beziehungen her und Gemeinsames in einer auseinanderdriftenden Gesellschaft?
Die baulich-gärtnerische Rekonstruktion der historischen Blickachsen zwischen Wasserschloß und Garten ist wichtig, die Balance zwischen Denkmalpflege und Naturschutz zentral.
Ebenso wichtig für einen lebendigen Park ist jedoch die inhaltliche Verknüpfung der imaginativen Strahlkraft des Museums mit dem umgebenden Park.
Learning from Rokoko
Der Begriff „Rokoko“ ruft Bilder fantastischer Feste auf, das Spiel im Freien und die genussvolle Beziehung zur Natur.
Das Rokoko liebte fremde Kulturen und griff diese in Form von Chinoiserien, in Stoffen, Tapeten und exotisierenden Pavillons in der westlichen Kunst auf.
Diese Rokoko-Qualitäten möchten wir für den Schlossgarten aufgreifen, als Potential für einen erweiterten Raum für Kunst: Für ein Publikum, das aktiver wird und die passive Betrachter*innenrolle abstreift.
Und für beiläufige Kontakte mit Kunst durch Parknutzer*innen ohne Museumsbesuchsvorsatz. Die ohnehin zunehmende Bedeutung der Freiräume wird sich in absehbarer Zeit weiter intensivieren, und das Museum und Leverkusen kann durch dieses Projekt einen interessanten Raum für (post-)pandemische, sichere Formen des Gemeinsamen und der Begegnung schaffen.
Für uns sind die verspielten Rokoko-Praxen ein Bezugspunkt für demokratische, kooperative, transdisziplinäre Aktivierungen des Geländes – durch einen relationalen und engagierten Kunst-Prozess.
Konkret
Vor Ort sein:
Für diesen schrittweisen Prozess müssen wir, die Künstler*innen, uns vor Ort schlau machen, in Begehungen ein genaues Gefühl für Leverkusen und den Spirit der Stadt bekommen, Geschichten sammeln, Unerwartetes entdecken.
Dann alle Personen im Museum kennenlernen, und alle Anrainer*innen (Kunstverein, Gastronomie, Obstbäuer*in), Schulen, die betroffenen Behörden, die täglichen Nutzer*innen und Durchquerer*innen. Planerisch gesprochen: möglichst viele der direkten Stakeholder*innen, ihre Praxis und erste Ideen zu diesem Raumgefüge, ausserdem die vorhandenen Untersuchungen, Gutachten, den offiziellen Wissensstand.
Für diesen künstlerischen Prozess ist die Zusammenarbeit mit der Museumsvermittlung und mit dem Museums-Shop / Museumsverein als Teil des künstlerischen ko-kreativen Prozesses zentral.
Verbindung Museum – Garten:
Essentiell wichtig ist die Verbindung zwischen Museum und Schlosspark. Schlösser seit der Renaissance haben innige und raffinierte Verbindungen zur Natur hergestellt: direkte Blickbeziehungen, Rahmungen des Blicks durch Fenster, die Umgebung mit Malerei hineingeholt, Spiegelung der Natur in die Motivik von Polstern, Vorhängen, Tapeten hinein. Und umgekehrt ging der Komfort der Zivilisation in den Garten, temporär als Picknick, Sonnenschirm, Sitzmöbel, Spiel, Decke, oder als Architektur, griechischer Säulenrest, Folly-Pavillon, gefälschte Grotte oder Ruine…
Diese Beziehung möchten wir mit dem Planungsprozess aktualisieren. Am besten durch ein permanentes Ausstellungs-Labor im Museum mit Zugang zum Park. Aktivitäten draussen mit Ausstellungen drinnen korrespondieren lassen. Die Vorteile des Reflexionsraums Museum neu nutzen. Besucher*innen können am Poet*innentisch selber auf Papier denken, zeichnen – eine Pendant-Arbeitstation steht im Freien.
Sichtbar werden:
Noch im Sommer sollten erste Interventionen in Museum und vor allem im Park den Beginn des Prozesses ganz intuitiv erlebbar werden lassen.
Dabei geht es nicht nur um sichtbar werden, sondern um eine provisorische Herstellung von Aufenthalts-Qualitäten und eine Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten. Plein-Air-Arbeits-Stationen im Rokoko-Stil im Park, auf der Terrasse, am Fenster des Museums. Fragonard-Schaukeln im Gehölz. Ein Open Air Mal Paravant – im Rokoko waren Chinoiserien beliebt: Wie wäre ein Paravent als Open Air Malfläche für Kurse, Schulklassen – oder ein Abschließbares im Stile von Edward Munchs Frischluftatelier als Malort für Künstler*innen? Badminton Court – Schon Ludwig der XIV. spielte Tennis. Wie wäre es, ein kleines Badmintonfeld in den Rasen zu mähen, mit künstlerisch gestaltetem Klöppel-Netz und Equipment vom Museum?
Diese Installationen sind gezielt temporär angelegt, nicht auf Dauer. Auch saisonal unterschiedlich, die Jahreszeiten feiernd. Möglichst viel davon sollte kooperativ entwickelt werden – mit zukünftigen Nutzer*innen aller Altersklassen und Herkünfte.
Die temporären Eingriffe nennen wir Realmodelle. Sie sind Teil der:
Planungs-Strategie
Wir stellen uns den Prozess grob gesprochen so vor: nach einer ersten Analyse tasten wir uns mit „Arbeitshypothesen“ und ersten temporären Installationen ins Territorium vor.
Dies könnten Visualisierungen wie Baustellenschilder sein, oder Chinesische Traumwolken oder in kooperativen Workshops entworfene und gebaute, benutzbare Strukturen immer mit symbolischem Überschuss. Es entstehen kleine Bühnen, Follies, Aufenthalts- und Spielmöglichkeiten als 1:1 Modelle im Real-Labor.
Wir probieren die Dinge mit anderen Akteur*innen aus Museum oder Nachbarschaft aus, beobachten, wie und ob das funktioniert, die Nutzung, den Missbrauch, die auftauchenden Bedürfnisse. Wir testen die Zusammenarbeit mit Museums-Shop und Stadtgärtnerei. Der Vorteil: Die Realmodelle werden Gedanken und Kritik provozieren, doch wir können flexibel reagieren, Dinge ändern, versetzen – und aus Kritik können neue Realmodelle entwickelt werden.
So entsteht schrittweise eine (gemeinsame) Vorstellung davon, was dieser Park in Zukunft können muss und kann. Anders als bei reinen Umfragen und reinen Workshopverfahren, erreichen wir so jedoch auch die wirklichen Nutzer*innen, die den Raum benutzen.
Doch weit über die Vorstellung hinaus entsteht durch das hin- und her von Analyse, Arbeit im Gelände, Planung und Praxis, ein genaues Profil, ein Grundgerüst für zukünftige künstlerische und landschaftsplanerische Eingriffe – auch solche von Dauer, die ggf. am Ende die Provisorien ersetzen.
Über die Gestaltung hinaus kann in diesem Prozess auch das Museum, die Stadt und etwa die Gastronomie, Erfahrungen machen und Wissen sammeln mit temporären, festlichen Formaten und anderen Nutzungen des Geländes.
Artistic Research als Planung:
All diese Aktionen sind bereits Schritte zur Planung, eigentlich Teil einer „erweiterten Planung“ – als kollektiver Lernprozess. Wir glauben, dass in den ersten zwei Jahren Planungsbüros im engeren Sinne des Wortes komplett aus dem Verfahren rausgehalten werden sollten. Erst durch dieses Verfahren werden wir herausarbeiten, was auf Dauer für das Gelände wichtig ist. Vielleicht ist es ja viel entscheidender, die richtigen Künstler*innen für das Design einer Brücke oder eines Wasserfalls zu finden, als in einem übergeordneten Landschaftsplan das gesamte Gelände festzuschreiben.
Aus dieser Praxis sollte sich ein neues, angemessenes Verfahren herausarbeiten. Möglicherweise präzisierte Kriterien einer (schlaueren) Ausschreibung. Vielleicht geht es aber auch darum, Planer*innen, die in Prozessen und Layern denken können, die Gefüge planen können ohne ein einheitliches Gesamtwerk zu schaffen (das wäre hier falsch) und die mit Künstler*innen interagieren können, in ein kooperatives Verfahren hinein zu kuratieren.
Ein solches Verfahren wäre ebenfalls sehr modellhaft – und könnte ebenso dazu genutzt werden, später wieder Mittel der Nationalen Stadtentwicklung zu aquirieren.
Ansätze
Als erste Eingriffe interessieren uns:
Künstliche Felsen an der Wasserkaskade. Rokoko-Reif-Röcke. Schaukeln zwischen den Bäumen. Künstlerisch gestaltete Picknickdecken und Sets zur Ausleihe. Schwer zugängliche Parkecken erhalten – Geheimnisse stärken, nutzen. Geheime Bühnen entwickeln mit Jugendlichen. Glühwürmchen als Beleuchtung. Interviews mit Hundebesitzer*innen. Ein Auftritt des Black Monument Ensemble. Food Forest. Bodenqualität. Badewanne in den Bäumen. Lesarten. Schildkröten tragen Windlichter durch den Park des Schahs. Programm versus Offenheit. Weg mit dem feuerverzinkten Handlauf über den Wasserfall! Ein Bühne für einen Bağlama Workshop von Derya Yilderim. Ein Pfad durch den Wald führt zu einem Übergang über das Wasserbecken. Keine Rentnerbänkchen! Die Spannung zwischen Imagination und Wirklichkeit. Ein Vortrag über alevitisches Naturverständnis. Lust. Vergnügen. Pilze.
Rites of passage.
Rites of Spring.
Les sacres du printemps.
Tanz.
Rave.
Der Rundgang als Erlebnis.
Die wuchernden Brombeeren.
Der Aufwuchs um den Baum.
Jugend braucht WWW (Weich-Warm-Wlan).
Hummelwiese.
Verwunschenes.
Machen.
Phantasie und Verführung.
Tiere beobachten.
Welten schaffen statt Funktionen zuweisen.
Margit Czenki & Christoph Schäfer, Dezember 2021